FREUND GEORG
Man könnte sagen, ein halbes Leben waren wir auf irgendeine Weise miteinander im unregelmäßigem Austausch. Unsere Meinungen und Interessen waren oft kongruent. Bei manchen meiner Projekte war er mir ein Lehrer dann wieder ein guter Zuhörer. Was bei allem sehr wichtig Erschien war die wohltuende Distanz zwischen uns.
Da war dieser Vorfrühlingsvormittag, als er mich auf einem Waldspaziergang anrief, und mich nach einem guten Onkologen fragte. Plötzlich, aber noch kaum spürbar, legte sich ein Schatten über unser Gespräch. Das war nicht die gewünschte Auskunft zu Bildkompositionen oder zu Museumsöffnungszeiten. Da stand etwas nicht Greifbares zwischen uns.
Schritt für Schritt folgten OP's und Therapien. Jedes mal verbunden mit angekündigten oder erhofften Besserungen. Die Besuche reduzierten sich auf die Freiräume zwischen den Krankenhausaufenthalten. Wie ein krankes Tier zog er sich zurück - wollte niemanden sehen.
Dann erschlich ich mir doch letztlich einen Besuchstermin im Krankenhaus. Ich war betroffen von seinem Anblick, aber nicht ohne Hoffnung. Georg freute sich. Auch dies war ein sonniger Tag. Im Park lag neuer Schnee.
Die Darmrückverlegung war gut verlaufen. Es kam zu einem weiteren Überraschungsbesuch mit positivem Eindruck. Nach der Entlassung aus der Klinik begann ein ständiges Auf und Ab seines Befindens. Erhielt die Nachricht aus dem Familienkreis, ihm ginge es soweit gut. Nachdenklich machende Ruhe.
Am 17. April kam dann der Anruf mit der Frage, möchtest Du Georg noch einmal besuchen? Erneut ein warmer Vorfrühlingstag. Am Gartentor erwarteten mich bereits von Tränen gerötete Augen. Georg sah nicht aus wie Georg. Alle Anwesenden waren sichtlich betroffen. Auf der Bettkante sitzend, nahm ich Abschied von meinem Freund. Vor dem kleinen Fenster seines Zimmers hing ein kraftloses Fähnchen.
Wenig später machte sich Georg auf seinen Weg.
Roland AO Köhler
| Datum, Ort | Juni 2011, - |
| Gastgeber | - |
| Weiterführende Links | DEUTSCHE KREBSHILFE e.V. |
