VOR GROSSER FAHRT

Seemännisches Grundpraktikum auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“

Vor inzwischen 52 Jahren wurde das Segelschulschiff „Gorch Fock“ als schwimmende Schulungsplattform für den Offiziernachwuchs der damals ganz jungen Bundesmarine auf der Werft Blohm & Voss in Hamburg gebaut. Die Idee, den jungen Kadetten auf einem Segelschiff die Elemente hautnah gegenwärtig zu machen und Ihnen gleichzeitig zu vermitteln, dass zum einen Entbehrungen und Kameradschaft und zum anderen Teamgeist die Maße aller Dinge sind, war nicht neu – sie hatte sich in den voran-gegangenen deutschen Marinen bestens bewährt. In den vergangenen 50 Jahren nun hat insbesondere die technische Entwicklung auch in der Seefahrt eine rasante Entwicklung erfahren und erfährt sie auch weiterhin, aber die Idee des seemännischen Grundpraktikums auf einem Segelschulschiff hat alle technischen und technologischen Quantensprünge überdauert; sie hat weiterhin Bestand.

Damals wie heute wird den angehenden Marineoffizieren in einer militärischen Grund-ausbildung das grundlegende Rüstzeug des Soldatseins vermittelt. Gleich danach steht an zweiter Stelle das seemännische Grundpraktikum auf der Agenda – quasi als marine-spezifischer Anteil der Grundausbildung. Der zeitliche Rahmen umfasst jeweils einen Zeitraum von 6 bis 8 Wochen, je nach Reise- und auch Ausbildungsplanung. Den Löwenanteil macht dabei die eigentliche Ausbildungsreise in ferne Gewässer aus, immer durchsetzt mit ein bis zwei oder drei Besuchen in ausländischen Häfen, bevor die nächste Kadettencrew einsteigt und den nächsten Törn der Reise bestreitet.

Am Anfang eines jeden Ausbildungstörns steht für die jungen Kadetten aber zwingend eine Segelvorausbildung – unter dem Aspekt der Sicherheit wahrscheinlich der wichtigste Teil des gesamten Ausbildungsabschnittes. Für die meisten Kadetten ist das Betreten der Planken der „Gorch Fock“ die allererste Berührung mit einem Schiff überhaupt. Entsprechend erstaunt und fasziniert sind viele Gesichter. Viel Zeit zum Eingewöhnen bleibt allerdings nicht; ein nur kleiner Spind für die eigene Ausrüstung und persönlichen Dinge, Schlafen in Hängematten und einiges mehr – und das alles in trauter Gemeinschaft mit den Crewkameraden auf engstem Raum und ohne jede Rückzugsmöglichkeit – müssen praktisch nebenbei verdaut werden. Deutlich im Vordergrund steht die Ausbildung an Deck und in der Takelage, um unter Segeln in See stechen zu können. Der Bezeichnung „Segelschulschiff“ gerecht werdend, ist die „Gorch Fock“ so ausgelegt, dass die gesamte Bedienung der Segel manuell, durch die „hands on deck“, geschieht. Das wiederum ist Aufgabe der eingeschifften Kadettencrew; die Stammbesatzung alleine ist rein zahlenmäßig nicht in der Lage, die „Gorch Fock“ zu segeln. Aber 23 Segel, ungefähr 200 verschiedene Leinen zur Bedienung derselben sowie knapp ein Dutzend Segelmanöver und unzählige damit zusammenhängende Kommandos wollen gelernt und verstanden sein – um rund 2.000 m² Segelfläche und ca. 11 Kilometer „laufendes Gut“ zu beherrschen. Letzteres dient zusammen mit etwa 300 Blöcken und Umlenkrollen der Bedienung der gesamten Takelage von Deck aus. Ganz am Anfang, noch vor der Beschäftigung mit Segeln und Leinen, stehen aber die ersten Gehversuche in der Takelage. Das sich Bewegen und Arbeiten in der Takelage eines Großseglers hat eine ganz eigene Qualität – und den allermeisten der Kadetten steht auf dem Weg in die etwa 45 Meter hohen Masten zunächst einmal der eigene Selbsterhaltungstrieb im Weg. Die Gewöhnung nimmt in der Regel ein paar Tage in Anspruch und entsprechend groß ist der Aufwand an Verhaltensmaßregeln, Tipps, „sanftem Zuspruch“ sowie der Vermittlung der Sicherheitsbestimmungen seitens der Ausbilder in diesen ersten Tagen. „Eine Hand für´s Schiff und eine Hand für sich“ ist das Motto, unter dem sich aus mehr als 100 jungen Kadetten binnen kurzem eine Crew formt, die weiß, dass man sich auf seinen Nachbarn verlassen können muss und die ebenfalls weiß, dass man nur mit Teamwork etwas erreichen kann. Vielen steht sehr bald die Anstrengung ins Gesicht geschrieben – aber auch der Stolz, dabei sein zu dürfen.

Unter dem Strich ist die Zeit auf der „Gorch Fock“ für den einzelnen Kadetten nur kurz. Sie ist, wie auch der Name sagt, nicht viel mehr als ein Praktikum – quasi ein „Schnupperkurs“, im Rahmen dessen dem Offiziernachwuchs der Deutschen Marine erste Seebeine wachsen sollen, um es mit dem Volksmund auszudrücken. Das Segeln lernen die Kadetten in dieser Zeit nicht, auch wenn das vielfach angenommen wird. Der Wert dieses Praktikums für den weiteren Berufsweg jedes einzelnen der angehenden Marineoffiziere ist möglicherweise nur schwer messbar; er mag auch von Fall zu Fall unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Fakt ist aber, dass gute Seemannschaft ein Handwerk ist und Handwerk will gelernt sein. Fakt ist ebenfalls, dass Marineoffiziere an Bord nur dann gute Offiziere sein können, wenn sie auch ihr seemännisches Handwerk verstehen. Der Grundstein dafür ist für viele Generationen von Marineoffizieren an Bord des Segelschulschiffes „Gorch Fock“ gelegt worden – weitere werden folgen.

Achim Winkler
Fregattenkapitän

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